Wolfgang Niedecken: „BAP ist keine Oldieband“

2022-10-15 00:19:14 By : Ms. Sara Luo

BAP-Sänger Wolfgang Niedecken im FR-Gespräch über lustige Situationen auf der Bühne, Auftritte in schwierigen Zeiten und warum ihm die Nähe zum Publikum wichtig ist.

Herr Niedecken, in unserem letzten Gespräch bedauerten Sie, dass Ihr mit einem großen Konzert geplanter 70. Geburtstag wegen der Pandemie ausfallen musste. Das wurde nun im März nachgeholt. Wie war’s denn?

Es war toll. Da mussten wir allerdings erst mal proben, denn wir hatten seit ewigen Zeiten nicht mehr zusammen gespielt. Dann haben wir fünf Tage in Celle geprobt und drei Konzerte zum Aufwärmen gespielt – Hannover, Bielefeld und Münster. Und dann ging es in die Köln-Arena. Das war ein unglaubliches Ding, ein richtiges Fest. Die Leute hatten großen Spaß.

Ende Oktober beginnt die Tour: Wenige freie Tage, Sie spielen fast täglich dreistündige Konzerte in immer anderen Städten. Wo nehmen Sie die Energie dafür her?

Beispielsweise indem ich pro Tag eine Stunde auf dem Heimtrainer sitze. Ich finde das gar nicht anstrengend. Die drei Stunden vergehen für mich wie im Flug, weil wir auch sehr spontan auf der Bühne sind und viel vom Publikum mitkriegen. Es ist kein Konzert wie das andere, ich habe noch keine Sekunde als langweilig empfunden.

Fünf Tage Vorbereitung reichen für die großen Konzerte?

Ja. Wir sind gut eingespielt und wissen, was wir tun. Wenn die Band unvorbereitet zusammenkäme, wäre das eine andere Geschichte. Es muss nur noch alles aufeinander abgestimmt werden, und wir müssen schauen, welcher Song hinter welchen passt. Da vertut man sich oft. Wenn man ein Konzert macht wie eine Kneippkur – kalt/heiß –, dann macht man Fehler. Du brauchst einen Bogen. Der ergibt sich beim Proben, aber noch theoretisch, denn da fehlt das Publikum. Und nach dem ersten Konzert weißt du es dann, danach wird in der Regel noch am meisten umgestellt.

Apropos Fehler. Passieren die denn bei einer so erfahrenen Band noch auf der Bühne?

Wenn, dann Nachlässigkeitsfehler. Manchmal passieren auch lustige Fehler. Einsatz verpasst oder einer spielt in der falschen Tonart – solche Sachen passieren schon mal. Dafür haben wir in der Band eine Auszeichnung, den „Heinz“ – damit verdient man sich den Heinz. (lacht)

Wer bekommt den Heinz am häufigsten?

Das kann ich nicht sagen. Es gibt einige, die gerne den Heinz haben. (lacht) Es gibt auch den „Heinz plus“ für besondere Verdienste. Es ist sogar schon vorgekommen, dass jemand im selben Konzert den Heinz und den Heinz plus bekommt. Der Heinz, das sind diese kleinen Fähnchen, die Trucker früher oft an ihren Rückspiegeln hängen hatten. Mit ihrem Vornamen drauf. Bei uns gibt’s den blauen, das ist der Heinz plus, und den weißen. Es ist immer lustig, da passieren unfassbare Dinger.

Der schönste Heinz bei unserer letzten Tour war, als unser Keyboarder vergessen hat, dass wir das Stück „Ens Em Vertraue“ einen Ton tiefer spielen als gewohnt. Das hat ein Honky-Tonk-Klavierintro. Und dann spielt er es in der alten Tonart an. Alle reagieren blitzartig und spielen es wie er. Wir hatten die Tonart runtergesetzt, weil ich dann mit meiner Stimme besser klarkomme. Im Publikum hat das keiner gemerkt. Nur meine Gitarre war runtergestimmt, die musste ich dann weglegen. Danach kam auch direkt einer von hinten von der Crew und hat ihm den Heinz verliehen. Der beste Heinz war in der Tour davor im Stück „Ruut-Wieß-Blau, Querjestriefte Frau“. Die Bläser sollten quasi als Marchingband an einer bestimmten Stelle von rechts nach links über die Bühne gehen und dann wieder verschwinden. Dann kamen die aber nicht (lacht). Alle haben gewartet und gedacht, „okay, dann kommen sie halt nicht“. Dann kamen sie plötzlich eine Strophe später. Da hatte der Posaunist schon den Heinz an der Posaune hängen.

Wie fühlt es sich nun an, nach Corona wieder auf der Bühne zu stehen? In der Pandemie hatten Sie gesagt, dass Sie sich vor allem um Ihre dadurch arbeitslose Crew sorgen machten.

Gott sei Dank sind die Leute von unserer Crew alle recht vielbeschäftigt. Die hatten dann auch andere Jobs machen können. Einige sind in einen „bürgerlichen“ Beruf zurückgegangen, einer als Zahntechniker, was uns teilweise sehr leidgetan hat bei Leuten, mit denen wir seit mehr als 20 Jahren unterwegs sind. Die müssen aber auch ihre Familien ernähren. Aber es sind wirklich alle auf die Füße gefallen, es ist alles gutgegangen. Und wir sind froh, dass wir weiter mit unserem Stammpersonal arbeiten können und kein großartiger Wechsel stattgefunden hat.

Wie kommt die Musikszene insgesamt aus der Krise?

Das hängt an vielen Faktoren. Teilweise sind die Ticketverkäufe komplett in den Keller gerutscht. Einige Kollegen haben Touren absagen müssen. Viele sind sehr vorsichtig und man kann gespannt sein, wie es im nächsten Jahr wird. Noch gibt es einen Auffangfonds. Wir mussten darauf noch nicht zugreifen. Aber nächstes Jahr gibt es den nicht mehr und dann müssen viele überlegen, welche Konzerte auf jeden Fall funktionieren. Pay-to-Play ergibt überhaupt keinen Sinn. Wir werden im kommenden Jahr nur Konzerte spielen, bei denen wir hundertprozentig sicher sein können, dass die auch laufen. Ich mache ja auch ein kleines Programm mit einem befreundeten Pianisten – Mike Herting –, „Niedecken liest und singt Bob Dylan“. Da haben wir keinen großen Produktionsaufwand, da kann man auch mal einen Termin coronabedingt verlegen. Aber mit dem ganzen Apparat von BAP, auch wenn wir den immer bewusst klein halten, ist es schon ein bestimmter Aufwand und es dauert, bis wir damit anfangen, daran zu verdienen. Da müssen schon ein paar Leute zum Konzert kommen.

Sie sind ja Großvater geworden. Damit konnten Sie die Zwangspause sicher mit mehr Zeit für die Familie genießen?

Ich habe im ersten Jahr mein Dylan-Buch geschrieben und meine beiden Enkel wurden geboren. Das war bei uns hier im Haus Idylle pur. Meine Tochter Isis kam für mehrere Monate aus Berlin nach Köln, das Kind wurde hier geboren, wir haben die meiste Zeit im Garten verbracht und der kleine Mann ist direkt hier in unsere Großfamilie reingekommen, das war wunderschön. Der Sohn meines Sohnes Robin lebt sowieso in Köln. Im zweiten Jahr kam die Anfrage von der Elbphilharmonie, ob ich Lust hätte, ein Programm zu Bob Dylans 80. Geburtstag zu machen. Aus dem Buch vorlesen und Dylan-Stücke auf Kölsch oder Englisch zu spielen. Dann habe ich Mike Herting angerufen, ob er Bock hätte, da mitzumachen. Dann haben wir das Programm entwickelt und uns schließlich gefragt: Wie? Das machen wir nur einmal? Das ist viel zu schade, und dann sind wir damit auf Tour gegangen. Weil der Aufwand so klein ist, konnten wir flexibel bundesweit touren. Ich persönlich habe während Corona nicht gelitten.

Nun ist BAP ja auch schon immer eine politische Band. Wie schwierig ist denn eine Tour in Zeiten eines Kriegs in Europa?

Ganz am Anfang, als wir das Geburtstagsprogramm gespielt haben, da habe ich überlegt: Wie wird das gehen? Es war alles noch ganz frisch. Und ich stehe auf der Bühne und singe Sachen, bei denen ich mich gefragt habe: Darfst du das überhaupt singen? Was machen wir da? Dazu musste ich erst meinen eigenen Standpunkt finden. Ich habe dann gesagt: Leute, es kann sein, dass einzelne Strophen – die sind teilweise vor 40 Jahren geschrieben worden – irgendwie nicht in die aktuelle Situation passen. Dafür wurden andere Strophen plötzlich brandaktuell. Das muss dann jeder selbst rausfinden. Die neueren Stücke sind ohnehin näher am Puls der Zeit. Und dann darf man auf der Bühne das Publikum auch nicht aus den Augen verlieren. Man kann nicht so tun, als ob nichts wäre.

Der Kölner Wolfgang Niedecken (71) , blickt als Sänger seiner Kultband BAP auf inzwischen weit mehr als 40 Jahre Bandgeschichte zurück. Auf ihrer „Schließlich unendlich“-Tour gastiert Niedeckens BAP am 3. November in der Frankfurter Jahrhunderthalle . Infos und Tickets im Internet unter www.bap.de/termine

Also ihr packt die Aktualität in die Moderation mit dem Publikum?

Auf jeden Fall. Bei der Moderation kann man tagesaktuell sein, mit den Songs weniger.

Sehen Sie es als Aufgabe von Künstler:innen, auf der Bühne zu solchen politischen Themen Stellung zu beziehen?

Das hängt vom Künstler ab. Ich bin ein politischer Mensch und kann das nicht ausknipsen. Ich kann nicht auf der Bühne stehen und so tun, als ob alles dufte wäre. Es gibt aber auch politische Künstler, die sagen, auf der Bühne findet nichts Politisches statt, sondern nur Musik.

Manche Gäste im Publikum haben auch die Erwartungshaltung, einfach mal für ein paar Stunden abzuschalten.

Klar, das kann ich auch durchaus verstehen. Es darf nicht zu einer Pflicht werden, sich zu äußern, das wäre ja verkrampft. Wer nichts Politisches sagen will, soll es auch nicht tun.

Wie geht es Ihnen persönlich mit der Situation?

Ich halte die Luft an, aber lasse mich auch nicht ins Bockshorn jagen. Wenn man Putin gewähren lässt und er damit durchkommt, dann wird es ganz schlimm. Dann ist die Frage, welches Land überfällt er als Nächstes? Was bis jetzt alles passiert ist – das sind alles unfassbare Unverschämtheiten. Dieses Scheinreferendum ist eine Farce. Die Anschläge auf die Ölpipelines, es ist alles so unfassbar gestrig, brutal und zynisch. Ich hab‘ ihn nicht für so beschränkt gehalten, dass er denkt, er käme damit allen Ernstes durch. Und ich bin froh, dass wir eine verantwortungsvolle Regierung haben und dass da keine Heißsporne unterwegs sind, die den Ernst der Situation verkennen. Es ist ein Riesenschachspiel und man muss immer auf den nächsten Zug warten, um richtig zu reagieren. Da die Nerven zu behalten, das ist die große Aufgabe der Ampel.

Zum Schluss eine Frage zur anstehenden Tournee: Was erwartet das Publikum in Frankfurt?

In der Jahrhunderthalle spiele ich gerne, die hat eine gute Größe. Wenn die Leute noch das Weiße in unseren Augen sehen können, dann ist mir das am liebsten. Wir spielen ein Programm mit vielen Klassikern, aber wir wagen es auch, einiges vom neuen Album zu spielen, was oft schwierig ist bei einer Band, die seit über 40 Jahren überregional unterwegs ist. Wir spielen etwa 30 Songs an einem Abend, davon sind neun vom neuen Album über das Programm verteilt. Das gab es noch nie, normalerweise sind es eher vier oder fünf. Wenn man nur die Klassiker spielt, wird man zu etwas, was man nicht sein will. Ich will ja auch immer, dass die Band sich entwickelt, dass das Publikum merkt, dass wir nach wie vor kreativ sind. Sonst wird man so Smokie-mäßig. Das braucht keiner. BAP ist keine Oldieband. Wenn alles vorhersehbar wird, hat man sich aufgegeben.

Sie klingen auch so, als würde der Satz aus unserem letzten Gespräch „Lust habe ich genug, das bis in alle Ewigkeit zu machen“ noch uneingeschränkt gelten.

Ja natürlich. Das ist ja auch irgendwie unser Seelenproviant. Wenn man immer nur zu Hause sitzt und sich Songs ausdenkt und sich überlegt, wie es wäre, wenn die Leute das zu hören bekommen, da muss ich oft an Wolf Biermann denken. Wie das wohl war, als er Jahrzehnte nicht spielen durfte. Wie er zu Hause saß und sich vorstellt, wie das wäre, wenn er seine Lieder spielen würde. Das ist schon schlimm, wenn du nie irgendwas zurückkriegst.